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Julius Mende 1944 - 2007


Julius Mende wurde1944 in Salzburg geboren.Von 1964 bis 1968 studierte er Malerei bei Max Weiler an der Kunstakademie in Wien. Unter anderem nahm er an der Ausstellung „Geist und Form“ des „Rainer-Weiler-Wotruba-Forums“ teil. Julius Mende erfasste in besonders sensibler Weise die Ausläufer der weltweiten Jugend- und Studentenbewegungen der Jahre 1968ff und wurde zu einer der auffälligsten und provokantesten Künstlerpersönlichkeiten dieser Zeit, die sich mit den deformierten Formen der Sexualität und der konservativen und bigotten Doppelmoral in Österreich konfrontierten. Damit wirkte er in seiner Weise am tiefgreifenden Umbau der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit. Sexualität und Erotik unter bürgerlichen Bedingungen sowie die Utopie einer sexuellen Befreiung sollten in der Folge einen Roten Faden im künstlerischen und wissenschaftlichen Schaffen Julius Mendes bilden. Es ist so nicht zufällig, daß auch seine beiden letzten öffentlichen Auftritte, die Teilnahme an einer Sammelausstellung zum Thema Erotik in der Wiener Galerie Maschalek und die Präsentation des im Promedia Verlag erschienenen Buchs, „Die sexuelle Welle“ dieser Thematik galten.

Ab 1970 lehrte Julius Mende unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste. Zur selben Zeit begann sein politisches Engagement im Bund Demokratischer Lehrer Österreichs und in der KPÖ. Als Kommunist blieb Julius Mende stets Grenzgänger, der die parteipolitische Organisierung, für die er in Beruf und Öffentlichkeit einstand, mit einem Engagement verband, das man heute im Gramscischen Sinn als „zivilgesellschaftlich“ bezeichnet. Er wurde Mitbegründer des „Verlags für Gesellschaftskritik“, begleited die Besetzung des Auslandsschlachthofes in Sankt Marx, die Arena-Bewegung und war einer der Initiatoren des WUK. Dieser Stil kommunistischer Politik konnte in den 70er-Jahren im günstigsten Fall nur im kritischen Dialog mit der Parteiführung betrieben werden. Darin wurzelt auch die letzten Endes tragische Verbundenheit Julius Mendes mit Ernst Wimmer, der den neuen sozialen Bewegungen aufgeschlossen gegenüberstand.

Auf dem 27. Parteitag der KPÖ im Jänner 1990, als der Zusammenbruch des osteuropäischen Realsozialimus politische Gestalt annahm, was die KPÖ in eine tiefe moralische und politische Krise stürzte, wurde Julius Mende in das Zentralkomitee der Partei und wenig später in dessen Arbeitsausschuss gewählt, der das traditionelle Politische Büro ersetzte. In den anschließenden für die KPÖ sehr kritischen Jahren, spielte Julius Mende eine politische Schlüsselrolle, indem er versuchte, die Überwidung dogmatischer Haltungen mit den Notwendigkeiten einer geschichtlichen Kontinuität des österreichischen Kommunismus zu vereinbaren. Nach einer schmerzhaften Parteispaltung wurde Julius Mende zu einem Bundessprecher der KPÖ gewählt und übte diese Funktion, die die eines Vorsitzenden war, bis 1994 aus.Von 1991 bis zu ihrer Einstellung im Jahr 2002 leitete er die traditionsreiche theoretische Zeitschrift der KPÖ „Weg und Ziel“ und gestaltete sie zu einer beachteten und anerkannten Plattform linken Dialogs um.

In die 80er- und 90er-Jahre fallen auch zahlreiche Publikationen, darunter Mitarbeit am „Sexkoffer“, die Mitherausgabe der Beiträge eines internationalen Gramsci-Symposiums, „Kulturen des Widerstands“ (1993), „Verbotene Liebe“ (1998) und gemeinsam mit Bärbel Danneberg, Aly Machalicky und Fritz Keller, „Die 68er-Generation und ihr Erbe“ (1998).

Julius Mende war ein hoch begabter sensibler und verletzlicher Mann, er war ein aufrichtiger Kritiker und ein loyaler Freund. Er war ein Aufklärer. Wollte man den problematischen Versuch wagen, seine vielfältige politische Persönlichkeit in einem einzigen Gedanken zu würdigen, so ließe sich aussagen, daß er vor allem dafür kämpfte, den Befreiungsimpuls der 68er-Bewegung, der er sich zeitlebens zurechnete, gegen seine neoliberalen Umwertung zu verteidigen und ihn zu einem Moment eines heutigen Kommunismus zu machen. Dafür setzte er sein beachtliches künstlerisches und intellektuelles Potential ein.

 


 

Eröffnungsrede zum künstlerischen Werk von Julius Mende im Rahmen der Ausstellung „Sex und Kitsch“ in der MEL-Factory am 15. Mai 2007

 

In seinem Buch „Die Sexuelle Welle“, das vor kurzem im Promedia-Verlag erschienen ist und in dem er die verschiedenen Phasen seines künstlerischen Schaffens kommentiert, schreibt Julius Mende: „Vor der extremen Intellektualisierung war es im Kunstmilieu tabuisiert, über eigene Bilder oder Bilder überhaupt zu sprechen. Deshalb werden die Reden auf Ausstellungseröffnungen immer von irgendwelchen Schlaumeiern gehalten.“ - Es freut mich und ist mir eine Ehre, dass ich als so ein Schlaumeier heute auftreten darf und ein paar Worte zu den künstlerischen Arbeiten meines Freundes Julius sagen kann.

 

Als Freund liegt es mir natürlich fern, als ein Konkurrent seiner eigenen Interpretation aufzutreten. Als Schlaumeier muss ich aber etwas Tiefgründiges von mir geben. Es bleibt mir daher kein anderer Ausweg aus dieser Zwickmühle, als mich auf meine Profession zurückzuziehen und etwas aus der Perspektive eines Soziologen zu sagen. Einem Soziologen geht es v. a. um die Einbettung eines Werkes in die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Als Unterstützung für dieses Unternehmen habe ich mir den französischen Philosophen Michel Foucault geholt; außerdem werden mir die Gespräche helfen, die ich in meiner 35-jährigen Freundschaft mit Julius gehabt habe.

 

Es ist ja nicht zu übersehen, dass die Sexualität das dominierende Thema in den Bildern von Julius ist. Wie aber ist diese Dominanz zu verstehen? Woher kommt sie? – Wenn wir seiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema „Sexualität“ näherkommen wollen, dann müssen wir uns auf die Frage einlassen, welche Art von Sexualität unsere Gesellschaft hervorbringt – bzw. genauer gesagt: welche Art von Sexualität sie damals hervorgebracht hat, als Julius aufgewachsen ist.

 

Ich möchte die Generation, in der Julius aufgewachsen ist und der ja auch ich angehöre, als sexversessen bezeichnen. Ich meine damit, dass ein Großteil unseres Denkens und unserer Phantasien sich um den Sex dreht. Mir ist erst im Zuge der Vorbereitung dieses Textes bewußt geworden, dass ich nicht weiß, wie das bei den Frauen meiner Generation ist; und ich weiß auch nicht, wie das bei der jüngeren Generation heute ist, ob für sie Sex immer noch so zentral ist oder ob diese Fixierung schon nachgelassen hat.

 

Dass für Julius Sex zentral war, zeigt sich nicht nur in seinen Bildern, sondern auch in Erzählungen seiner SchülerInnen und StudentInnen: Sex war ein Dauerthema für ihn in jeder Unterrichtsstunde, auf das er immer wieder zurückgekommen ist. Ich habe mit Julius einige Male über den Zwang des heimlichen, sexuell motivierten Blicks in total unpassenden Situationen gesprochen. Und es gibt ja auch jede Menge literarischer Zeugnisse für die Wichtigkeit des Sexthemas in meiner Generation; ich möchte nur zwei markante Beispiele nennen: John Updike mit seinen Rabbit-Romanen und Henry Miller mit den Wendekreis-Romanen und der Romantrilogie „Sexus, Nexus, Plexus“.

 

Zur Erklärung dieser Sexversessenheit bringe ich nun Foucault ins Spiel. Er meint, dass sie sich im 19. Jhdt mit dem Aufstieg des Bürgertums auszubreiten begann, und nach dem 1. Weltkrieg auch die Arbeiterschaft erfasst hat. Foucault betrachtet sie als das Pendant zur  Leistungsorientierung und Disziplinierung des Bürgertums, zu der ja auch ganz wesentlich die Kontrolle der Lust gehört. Er ist aber der Auffassung, daß das psychoanalytische Konzept der Verdrängung zu kurz greift, wenn wir sie bloß als Verbot und Repression verstehen: es handelt sich nämlich gleichzeitig auch um eine Stimulierung der Sexualität. Mit ihrer Verdrängung hat sich auch ein breiter und intensiver Diskurs über Sexualität entfaltet: in der Erziehung, der Medizin, der Psychiatrie, der Kirche – die Psychoanalyse ist ja geradezu ein Produkt dieses Diskurses. Moralische Verbote, die Trennung der Geschlechter in Schulen und Internaten, die Einführung des elterlichen Schlafzimmers und seine Tabuisierung für die Kinder, die Biologisierung des Aufklärungsunterrichts, die Beichte und vieles andere mehr wecken die Neugier, regen unser Verlangen an und fixieren unser Denken und unsere Phantasie auf den Sex: Dieser ist in unserem Hinterkopf ständig präsent im sozialen Verkehr – es wird eine Art Besessenheit erzeugt. Und die Sexualität wird auf diese Weise zum eigentlichen Wesen des Menschen stilisiert, das es zu suchen und zu verwirklichen gilt und das das Zentrum allen Glücks ausmacht. - Soweit Foucault.

 

Die Widersprüchlichkeit zwischen Verdrängung und Stimulierung führt zur Etablierung dieser eigenartigen Beziehung zwischen den Geschlechtern, die wir alle kennen: zu der mehr oder weniger gewaltsamen Durchbrechung der Diszipliniertheit mit der Tendenz zur Schadenszufügung, der Selbstschädigung oder der Schädigung anderer, wobei diese beiden Arten der Schadenszufügung typischerweise geschlechtsspezifisch verteilt sind: Selbstschädigung = weiblich, Schädigung anderer = männlich. Die Schadenszufügung entfaltet einen großen Formenreichtum: Sadismus und Masochismus, Hysterien und Zwänge, Vergewaltigung, Kindesmißbrauch, Prostitution und Pornographie – das Glück und die Erfüllung bleiben allerdings im Jenseits, und das stachelt uns zu weiteren Aktivitäten an. Statt Glück und Erfüllung handeln wir uns Psychiatrie, Justiz und die Kommerzialisierung sexueller Beziehungen ein.

 

Genau diese Verhältnisse werden nun in den 60er Jahren von der antiautoritären Bewegung auf- und angegriffen. Es wird der Kampf gegen jegliche Unterdrückung, auch die sexuelle, ausgerufen.

 

Und Julius ist in der vorderster Reihe dieser Bewegung gestanden: mit seinen Bildern, aber nicht nur, sondern auch mit seinen erzieherischen Ambitionen und seinen Publikationen. Diese frühe Phase ist in dieser Ausstellung nur schwach vertreten, sie ist aber in seinem letzten Buch sehr gut dokumentiert. Die Figur, die für ihn damals das Aufbegehren symbolisierte, ist Oskar aus der „Blechtrommel“ von Günter Grass. Eine Reihe von Oskar-Bildern entsteht am Beginn seines künstlerischen Arbeitens. In dieser Ausstellung sind vier dieser Bilder aus dem Jahr 1967 zu sehen.

 

Sein Frühwerk hat drei Stoßrichtungen:

-       Die Anklage der herrschenden Verhältnisse als Unterdrückung und Deformierung. Sie ist nicht beschränkt auf die Sexualität, sondern ist als Unterdrückung allgemein formuliert und zeigt sich in den manipulierten und zerfleischten Körpern.

-       Die zweite Stoßrichtung ist die Kritik der Technisierung und Kommerzialisierung der Sexualität. Technisierung und Kommerzialisierung setzen nämlich interessanterweise gleichzeitig mit dem Aufbegehren gegen die Unterdrückung ein, und Julius hat erkannt, daß es sich hier um eine neue Form der Deformierung handelt. Ein weiterer interessanter Punkt in diesem Zusammenhang ist: seine Objekte, die die Technisierung und Kommerzialisierung aufzeigen, werden vom Staatsapparat nicht als Kritik verstanden, sondern von der Polizei beschlagnahmt und von Konservativen vernichtet, in Brand gesteckt.

-       Eine dritte Stoßrichtung der Befreiung zeigt sich damals, Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre, in Körperbemalungen und Analmalaktionen. Sie sind als Aktivitäten der Befreiung von Zwang und Disziplinierung konzipiert.

 

Julius ist dann zu Beginn der 70er Jahre zur Überzeugung gekommen, dass die Kunst nicht das geeignete Mittel ist, um die Gesellschaft zu verändern. Er engagiert sich einerseits als Kunsterzieher in Schulen und Akademien und andererseits in der KPÖ, von der er sich eine gesellschaftstransformierende Politik erhofft.

 

Eine Art positiver Sinnlichkeit zeigt sich dann 15 Jahre später in seinem künstlerischen Schaffen, Mitte der 80er Jahre. Er schreibt dazu: „Anlässlich einer neuen Liebe entstehen hunderte erotische Zeichnungen“. Und in diesen Zeichnungen erscheinen jetzt die Frauen und Männer nicht wie in seinen frühen Bildern als zerfleischte und zerschnitte Körper, sondern sie strahlen voll Lust, Kraft und Selbstbewusstsein und erheben sich in die Lüfte als fliegende Hexen und Hexeriche.

 

Was wir hier in der Ausstellung sehen, ist ein kleiner Ausschnitt aus seinem Spätwerk. Ich werde der Versuchung der Schlaumeierei widerstehen und keine eigene Interpretation versuchen, sondern ich möchte mich der Interpretation bedienen, die Julius selbst in seinem letzten Buch vorlegt, und auf einen Punkt hinweisen, der uns die ganze Vertracktheit zeigt, in der die Sexualität in unserer Gesellschaft gefangen ist und die Julius in seinen Bildern zu erfassen versucht.

 

In der Einleitung zu seinem Buch „Die sexuelle Welle“ schreibt er, dass „die Bilder auf eine ersehnte Gesellschaft der Leichtigkeit des Seins verweisen (sollen), die ich alter Mann vorläufig einmal aus- und aufmale“, und dass es ihm darum gehe, das Erotische und das Sexuelle, die in unserer Gesellschaft auseinandergerissen sind und auf die „Verstümmelung und Verdinglichung des Begehrens und der Leiber“ hinweisen, miteinander zu verbinden.

 

Und am Ende des Buches erfahren wir von ihm, daß er genau in diesen seinen letzten Bildern auf das Motiv der frühen Bilder zurückgreift: „die zerschnittenen Menschen“. Er schreibt: „Symbolhaft für die Eingeschnürtheit in moralischen Systemen und damit Herrschaftssystemen ziehen sich Flächen durch die Figuren (…) Dieser Eingriff nimmt den Figuren die Dynamik und lässt sie zu Puppen erstarren.“

 

Es stellt sich also die Frage:

Was sehen wir in den Bildern der letzten Phase? Versöhnung und Vorwegnahme einer glücklichen Sexualität in einer zukünftigen Gesellschaft? Oder Melancholie über die weiterhin deformierten sexuellen Beziehungen?

 

Ich habe den Eindruck, in vielen seiner Bilder der letzten Phase schauen uns die Figuren mit einem fragenden Blick an.

Franz Ofner, Wien, am 15. 5. 2007